«Von Stimmen umwittert..., Teil 2»


”... Ein Dichter, ein Maler und ein Komponist schärfen die Sinne alltäglicher Wahrnehmungsmuster - Versuch einer Annäherung”

von Heide Marie Garthe



Die Idee. Zwei Veranstaltungen in Staufen im Jahr 2008 stellen einen weiteren Versuch der Galerie Fluchtstab dar, von dem für die Galerie zentralen Thema der Bildenden Kunst Verknüpfungen und Querverbindungen zu anderen Kunstrichtungen in die Wege zu leiten. Der Galerist Elmar Bernauer benannte sein Projekt "Von Stimmen umwittert..." nach einer Zeile aus dem Gedicht "Le Pouldu" von Peter Huchel, das dieser dem Maler Paul Gauguin gewidmet hatte. Neun Jahre lebte der Dichter bis zu seinem Tod im Jahr 1981 in Staufen, was den kulturellen Netzwerker Bernauer reizte, sich dem Thema seiner Sprache von einer anderen Seite zu nähern. Er konnte für seine Idee zwei Künstler gewinnen, den Maler Gert Wiedmaier und den Komponisten Roland Breitenfeld, denen Huchel kein Fremder ist und die sich zu einer weiteren Auseinandersetzung mit seinen Gedichten in ihrem künstlerischen Schaffen inspirieren ließen.

Der Maler. Gert Wiedmaier schweifte mit seinem Blick durch die badische Landschaft in dem Bewusstsein, dass sich ein Vierteljahrhundert früher Peter Huchel in demselben Raum bewegt hatte. Mit Hilfe des Fotoapparats und eines Zeichenstifts hielt der Künstler Motive über den Augenblick hinaus fest und bannte sie auf Papier. In einem mehrtägigen Arbeitsprozess überzog er jedes Bild Schicht um Schicht mit hauchdünnem Wachs, bis zu dem Punkt, wo das Wachs mit dem Motiv zu verschmelzen scheint. Der Vorgang des Auftragens der Wachsschichten hat für Gert Wiedmaier einen meditativen Charakter. In einer ersten Auseinandersetzung mit dem Objekt löst er das Motiv aus der Landschaft, macht es auf einem Medium sichtbar und entzieht es in einem weiteren Schaffensprozess langsam dem Blick. Die gewohnte Schärfe weicht einer Unschärfe, deren Weichheit, unterstützt durch die zarthelle Wachsdecke den Betrachter das Motiv erst nach geraumen Sehversuchen erahnen oder erkennen lässt.
Gert Wiedmaier geht davon aus, dass es dem Betrachter möglich sein kann, durch die intensive und ungewohnte Annäherung an die Bilder und die damit verbundene Möglichkeit, der Unschärfe eine Schärfe des Erkennens abgewinnen zu können, sich dem ursprünglichen Objekt wieder zu nähern. Die in ihrer zarten Farbigkeit fast monochromen und stillen Bilder und der erahnte Verlust des Motivs fordern zu einem spannenden Dialog und einer Schärfung des Blicks, ohne die Anwesenheit von Zufall und Willkür. Gert Wiedmaier sichert durch seine Konservierung vielschichtige Spuren aus unterschiedlichen Zeiträumen. Dem Betrachter ist es überlassen, sich auf Spurensuche zu begeben oder seinen Blick ins Bild zu versenken und sich in ihm zu verlieren.
(Ausstellung in den Räumen der Galerie vom 28.März - 11.Mai 2008)

Der Komponist. Roland Breitenfeld unternahm in Teil 2 seiner Uraufführung des Liederzyklus den Versuch, vier Gedichte von Peter Huchel zu "musikalisieren":
"Todtmoos" für Mezzosopran, Flöte, Oboe, Spinett, Schlaginstrumente, Violoncello und Live-Elektronik,
"Licht rodet Kälte" für Bassflöte, Bassklarinette, Radio Baton und Live-Elektronik,
"Ophelia" für Gesang, Schlaginstrumente und Live-Elektronik und
"Im Kalmusgeruch dänischer Wiesen liegt immer noch Hamlet" für Mezzosopran, Bassflöte, Englisch Horn, Bassklarinette, Klavier, Schlagzeug, Violoncello und Live-Elektronik.
Als Dirigent seiner Kompositionen arbeitete Roland Breitenfeld - in "Licht rodet Kälte" am Radio Baton - zusammen mit einem hochkarätigen international besetzten Ensemble, der Mezzosopranistin Christina Ascher, der Flötistin Elizabeth Hirst, dem Klarinettisten Walter Ifrim, Christian Hommel an Oboe und Englisch Horn, Rei Nakamura an Spinett und Klavier, Victoria Ifrim an den Schlaginstrumenten, Gaby Schumacher am Violoncello und Michael Acker, Sven Kestel und Andreas H.H. Suberg vom SWR Experimentalstudio für akustische Kunst.
Der Komponist wob die Texte und Textfragmente - teilweise vermischt mit Sprachfetzen von William Shakespeare und Äsop - ein in die Struktur der Stücke und stellte Text und Töne in einen durch das Sechskanalsystem erzeugten vielschichtigen Klangraum, in dem sie als originale Klangfragmente oder elektronische Echtzeitveränderungen miteinander kommunizierten und nichts war dem Zufall überlassen. Vogelgezwitscher, rollende Kugeln auf der Haut einer Trommel, Glockengeräusche, das Klirren von hängenden Nägeln, Wortfetzen, Düsenjäger im Tiefflug, Wasserrauschen, das Heulen eines Cellos oder das Klagen einer Klarinette begleiteten die klare Singstimme der Mezzosopranistin, die mit ihrem enormen Stimmvolumen die Emotionalität der Stücke und ihre Dramatik - unterstützt durch die Elektronik - in den Raum schleuderte.
(Konzert im Orchestersaal der BDB-Musikakademie am 4. April 2008)

(Heide Marie Garthe, 7. Mai 2008)

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